Dies Domini – Dritter Fastensonntag, Lesejahr B
Geld und Kirche – das ist für viele offenkundig ein Widerspruch in sich. In den Köpfen ist ein mächtiges Bild wirksam: Der besitzlose Gottessohn wandert heilend durch das Land und verkündet das Reich Gottes. Er segnet Kinder, erzählt schöne Gleichnisse und wendet sich den Armen zu, denen er, weil er ja selbst besitzlos ist, auch nicht wirklich helfen kann. Dieser Jesus, dessen Schattenbild die Köpfe nicht nur der Frommen besetzt, ist ein eher harmloser Zeitgenosse, so dass rasch die Frage entsteht, warum denn ein so guter Mensch am Kreuz endet. „Wegen der bösen Menschen, die sich über das Gute des guten Menschen ärgern“ – so lautet dann die einfache und ein wenig infantil-naive Antwort, die man immer wieder hört, angefangen vom Religionsunterricht bis zu den Katechesen in Familiengottesdiensten.
Dass das irgendwie unlogisch ist, scheint wenig zu stören. Wer angesichts soviel böswilliger Abwehr des Guten selbst gut sein möchte, muss da schon ziemlich dumm sein. Vielleicht liegt hier der Grund, warum sich das christliche Abendland zu einer veritablen Ellenbogengesellschaft gewandelt hat. Die Verharmlosung Jesu und sein brutales Todesschicksal am Kreuz sind ein guter Nährboden für die Entwicklung von Selbsterhaltungsstrategien: Wenn das harmlos Gute zum Tod führt, dann bedarf das Leben offenkundig anderer Wege …
Selbstgemalte Bilder liegen dem Urheber erfahrungsgemäß fest am Herzen. Sie sind dem eigenen Können entsprungen. Jeder kennt die Schmach, wenn das eigene Werk der kritischen Betrachtung nicht standhält. Der liebe Jesus, der den vielen in vielen Andachtsbildern vor Augen gehalten und von dort in Hirn und Herz getreten ist, ist allerdings nicht der Jesus der Bibel. Aber wer möchte sich das eigene Bild vom fleischgewordenen Wort Gottes durch das Wort Gottes schon korrigieren lassen. Es könnte sich ja möglicherweise herausstellen, dass dieser Jesus gar nicht so naiv-lieb war, wie man ihn gerne hätte. Und wenn er nicht so naiv-lieb war, dann könnte das auch Folgen für die haben, die sich in seiner Nachfolge wähnen …
Man weiß nicht viel über diesen Jesus von Nazareth. Und das Wenige, was man weiß, steht im Neuen Testament. Und manche Frage, die man heute – nicht selten auch polemisch – an die Nachfolger Jesu stellt, beantwortet sich schnell, wenn man weniger vagen Gerüchten, der Oberflächlichkeit des Hören-Sagens oder den eigenen Phantasiewünschen folgte, sondern einfach einen konkreten Blick in die verschriftlichte Überlieferung des Wortes Gottes schauen würde. Und da kommt Erstaunliches zutage.
„Wie verträgt sich eigentlich Geld mit der Kirche? Hatte Jesus etwa Geld?“ – fragte etwa die engagierte Redakteurin einer noch jungen Trendzeitschrift nach der Veröffentlichung des Finanzberichtes der Erzdiözese Köln im Februar 2015. Ein Blick in das Neue Testament hilft da schnell weiter. Natürlich hatte Jesus Geld. Der Kreis um Jesus hatte sogar einen Kassenwart, einen gewissen Judas Ischariot. Von ihm wird berichtet, dass er sich entrüstet, als Maria von Bethanien die Füße Jesu mit kostbarem und wohlduftendem Nardenöl salbt, entrüstet:
Warum hat man dieses Öl nicht für dreihundert Denare verkauft udn den Erlös den Armen gegeben? (Johannes 12,5)
Dabei weist der Text ausdrücklich und nicht ohne einen spöttisch-schmähenden Hinweis auf den späteren Verrat des Judas Ischariot auf seine besondere Tätigkeit im Kreis der zwölf Apostel hin:
Das sagte er aber nicht, weil er ein Herz für die Armen gehabt hätte, sondern weil er ein Dieb war; er hatte nämlich die Kasse und veruntreute die Einkünfte. (Johannes 12,6)
Lässt man die Wertung einmal beiseite, dann lässt der Hinweis prinzipiell nciht nur auf eine Kasse der Gruppe schließen, sondern auch auf Einkünfte. Woher die Einkünfte Jesu kamen, erklärt sich unter anderem aus einem Hinweis des Lukasevangeliums:
In der folgenden Zeit wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn, außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanne und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen. (Lukas 8,1-3)
Im engeren Sinn arm oder besitzlos waren Jesus und die Jünger also nicht. Die Höhe der Einkünfte jedenfalls machten eine entsprechende Verwaltung nötig, die man Judas Ischariot übertrug. Dass man ihm hierbei unlautere Absichten unterstellt, ist nicht zuletzt durch den Verrat im Garten Gethsemane veranlasst, durch den das Todesdrama Jesu begann. Initiiert wurde es aber durch ein anderes Ereignis, das sich Tage zuvor zugetragen hat. Es ist ein Ereignis, dass nicht so recht zu dem Bild vom lieben Jesus passen möchte, das sich wohlig in den Köpfen so mancher eingenistet hat. Das Evangelium vom dritten Fastensonntag im Lesejahr B berichtet von diesem Vorgang, den die Tradition als „Tempelreinigung“ bezeichnet:
Das Paschafest der Juden war nahe, und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus, und ihre Tische stieß er um. Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! (Johannes 2,13-16)
Die Tendenz zur Verharmlosung greift vor allem den letzten Satz auf: Das Haus des Vaters soll keine Markthalle sein. Das passt gut zum Bild des besitzlosen Jesus, das man pflegt, auch wenn es nicht so ganz zur Überlieferung des Wortes Gottes passt. Damit dieses Bild funktioniert, lässt man in der Phantasie ein Bild entstehen, bei dem im Tempel munter Handel getrieben worden wäre. Tatsächlich aber verhält es sich anders. Betrachtet man nämlich die „Waren“, um die es geht, ergibt sich eine ganz andere Tendenz. Es sind Rinder, Schafe und Tauben, also Tiere, die für den Opferkult im Tempel vonnöten sind. Bei der Darstellung Jesu im Tempel etwa heißt es deshalb:
Dann kam für sie der Tag der vom Gesetz des Mose vorgeschriebenen Reinigung. Sie brachten das Kind nach Jerusalem hinauf, um es dem Herrn zu weihen, gemäß dem Gesetz des Herrn, in dem es heißt: Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein. Auch wollten sie ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben. (Lukas 2,22-24)
Dabei weist der Text das Opfer der Maria als Armenopfer aus, heißt es doch im Buch Levitikus über die Reinigung der Wöchnerin:
Das ist das Gesetz für eine Frau, die einen Knaben oder ein Mädchen gebiert. Wenn sie die Mittel für ein Schaf nicht aufbringen kann, soll sie zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben nehmen, eine als Brandopfer und die andere als Sündopfer; der Priester soll sie entsühnen und so wird sie gereinigt. (Levitikus 12,7b-8)
Die Händler handelten also im Umfeld des Tempels mit den für die Aufrechterhaltung des Opferkultes benötigten Tieren. Das war notwendig, denn es war wohl nur schwer möglich, die entsprechenden Tiere bei Wallfahrten von ferne her mitzuführen.
Ähnlich verhält es sich auch mit den im Evangelium erwähnten Geldwechslern. Sie wechselten die unterschiedlichen Währungen in die Tempelwährung und zogen außerdem die Tempelsteuer ein, mit der der Kultbetrieb im Tempel aufrecht erhalten wurde.
Insgesamt ergibt sich damit ein neues Bild von der Aktion Jesu, der sich wohl als selbst Einkünfte erzielender Prediger nicht prinzipiell gegen eine Erwerbstätigkeit im Umfeld des Tempels richtet. Sein eigenes Verhalten wäre ihm zum Verhängnis geworden; der Vorwurf der Heuchelei wäre nur allzu berechtigt gewesen. Tatsächlich beinhaltet das Evangelium vom dritten Fastensonntag im Lesejahr B auch einen Hinweise, der in eine ganz andere Richtung zielt:
Da stellten ihn die Juden zur Rede: Welches Zeichen lässt du uns sehen als Beweis, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut, und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte. (Johannes 2,18-22)
Jesus wendet sich gegen den Tempel an sich, besser gesagt: gegen das, was in diesem Tempel geschieht. Er wendet sich gegen den Tempelkult, der die Entsühnung des Menschen mit einem Opfer verbindet, das nur um Geld zu haben ist. Im Lukasevangelium heißt es deshalb lapidar nach dem dort eher kurzen Hinweis auf die Tempelreinigung:
Er lehrte täglich im Tempel. Die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und die übrigen Führer des Volkes aber suchten ihn umzubringen. Sie wussten jedoch nicht, wie sie es machen sollten, denn das ganze Volk hing an ihm und hörte ihn gern. (Lukas 19,47f)
Jesus beweist Chuzpe. Er kehrt an den Ort des Eklats zurück. Er lehrt im Tempel. Er lehrt die neue Lehre. Er lehrt, dass Gott keine Opfer braucht, keine Werke der Sühne. Er lehrt einen Gott, der den reuigen Sünder vorbehaltlos wieder aufnimmt, so wie der Vater den verlorenen Sohn aufnimmt. Das ist ein Skandal. Wenn das Schule macht, dann brechen die Einkünfte aus dem Opferkult weg. Kein Wunder, dass das Volk an seinen Lippen hängt. Und schon gar kein Wunder, das man so einen los werden möchte – ein für allemal.
Nein, dieser Jesus ist nicht lieb. Er ist brutal konsequent. Er geht dem Streit nicht aus dem Weg. Er sucht den Konflikt. Er ist sogar zynisch, wenn er seine Gegner nicht nur als Heuchler, sondern gar als übertünchte Gräber bezeichnet, die voll von Schmutz und Verwesung sind (vgl. Matthäus 23,27).
Mit der „Tempelreinigung“ setzt Jesus mehr als ein symbolisches Zeichen. Sie ist ein Fanal, eine Kampfansage an die, die das Volk um des Heiles willen ausbeuten. Es ist ein Zeichen gegen einen kultischen Ritualismus, gegen eine Gesetzesfrömmigkeit, die das Heil in äußeren Werken sucht. Die, die davon leben, wissen sich zu wehren. Das Motiv liefert ihnen Jesus selbst. Sie brauchen noch die Gelegenheit. Und hierbei wird ihnen der Kassenwart Jesu helfen: Judas Ischariot. Wie manche aus dem Apostelkreis ist auch er ein Mann der Tat. Sein Beiname „Messermann“ – so kann man Ischkariot übersetzen, wenn man es auf „Sikarier“ zurückführt – weist ihn als jemanden aus, der als Guerillakämpfer aktiv war. Er folgt Jesus, den er als Messias verehrt. Er erhofft sich von ihm die Befreiung Israels. Aber es geht ihm wohl nicht schnell genug. Wenn man ihn unter Druck setzte, dann endlich wird er wohl den Aufstand ausrufen. Die dreißig Silberlinge, die ihm die Tempelleute bieten, werden dann von den Aufständischen wohl dringend benötigt werden. Der Kassenwart denkt eben, wie Kassenwarte denken müssen …
Es wird anders kommen. Das Fanal, dass sich Judas erhofft hatte, wird ausbleiben. Judas, dieses Paradebeispiel eines Menschen, der seine Phantasien mit Zwang Wirklichkeit werden lassen will, scheitert, weil er in Jesus nur das sieht, was er sehen möchte.
Jesus wusste um diese Gefahr, die sich aus den Phantasien der Menschen ergeben:
Jesus aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen ist. (Johannes 2,24f)
Niemand sollte deshalb vorschnell behaupten, er kenne Jesus. Jesus bleibt der Andere, der Fremde, der Herausfordernde, der Verstörende. Apathie und Ruhe passen nicht zu dem, der mit Leidenschaft für einen Gott eintritt, der dem Menschen vorbehaltlos nahe ist. Wer diesem Jesus nachfolgen will, kann nicht still sein. Er wird aufstehen müssen, um die Welt zu verändern – wenn es sein muss, auch mit Geld. Denn Geld stinkt, wenn man es hortet. Wenn man es verwendet, um wahrhaft Gott und Menschen zu dienen, wird es zur Blüte werden.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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